Der Holländer ist herzlos
Wieder sitze ich in Köln und weiß mit meiner Zeit nichts Sinnvolleres anzufangen, als mich an die Tastatur zu klemmen und munter wie der junge Morgen drauflos zu tippen. Wer also einen fachmännischen Fußballbericht oder Ähnliches erwartet, vergeude seine Zeit lieber nicht weiter und lese den Kicker oder welch informatives Fachblatt er auch immer bevorzugt. Für alle Anderen, die bereit sind sich auf eine sinnlose Reise zu begeben, öffne ich eine laut quietschende Tür und verkünde mit donnernder Stimme aus vor Stolz geschwellter Brust: „Willkommen im Jusomeg Parc!“
Zugegeben war das keine besonders innovative Einleitung in einen Text, doch erwarte man von mir bitte keine Glanzleistungen zu so früher Stunde. Da muss ich erst langsam in Fahrt kommen und vor allen Dingen sollte mir allmählich eine Idee kommen, worüber ich jetzt schreiben will, sonst laufe ich ernsthaft Gefahr, einen absolut aussagelosen und gähnend langweiligen Brei zu fabrizieren, der dem Leser nur mühselig und zähflüssig durch die Netzhaut ins Gehirn fließt und dabei einen muffigen Nachgeschmack hinterlässt, als hätte ich in ihm meine Sportsocken nach dreimonatiger Lagerung im Keller verarbeitet. Eigentlich ist die Vorstellung für kundige Leser weit weniger unangenehm als für den ahnungslosen, unverdorbenen Durchschnitt, der sich nun mit vor Ekel verzogener Grimasse die derbsten Stimulationen des Geruchsinns ausmalt und nur unter Aufwand all seiner Kraft den Würgreiz unterdrücken kann. Eigentlich habe ich lange schon keinen Sport mehr getrieben. Nicht mal virtuell. FIFA liegt bei mir seit Wochen unter einem großen Stapel allen möglichen Zeugs; eine nähere Beschreibung erspare ich mir in Rücksicht auf den würgreizgeplagten Durchschnitt. Jedenfalls war die FIFA01-CD mit meinem Laufwerk nahezu verwachsen, doch als ich letztens noch einmal gegen Frank spielen wollte, begann bei mir erst das große Suchen, danach das große Fluchen, denn zum wiederholten Male kam keine Verbindung zustande, so dass Herr Asamoah wieder verschwand unter dem undefinierbaren Haufen Allerlei.
Eigentlich schade, hatte ich doch zwischenzeitlich Gefallen an dem Spiel gefunden, doch bis zum Erscheinen des Patches, wobei ich hoffe, dass das Problem mit dem ersten gelöst sein wird, kann ich die teure Silberscheibe getrost an Ort und Stelle lassen und ich hoffe, dass mir ein Weihnachtsfest des dunkelsten deutschen Nationalspielers aller Zeiten in den Untiefen der Unordnung meiner Wohnung, nicht als Fremdenfeindlichkeit ausgelegt wird. Vielleicht sollte ich einen kleinen Weihnachtsbaum daneben stellen oder den sensationellen Elch, den man vor kurzem bei einer Fastfood-Kette käuflich erwerben konnte. Drückt man ihm die linke Hand, wobei linker Vorderhuf vermutlich biologisch betrachtet der Realität näher käme, sofern man bei Stofftieren von biologischer Realität sprechen mag, beginnt er völlig unrhythmisch hin und her zu wackeln, dass der Coca-Cola-Schal freudig im Wind flattert, und stimmt das alte Lied von „Rudolph, the rednose rendeer“ an. Auf diesem Wege lernen die Kleinsten schon Fremdsprachen, so dass wir in zehn Jahren bei Leistungs-Vergleichstest zwischen Schülern aus aller Welt sicherlich nicht besser abschneiden werden, doch wird unsere Nation die meisten amerikanischen Weihnachtslieder zu intonieren wissen. ABER wie ging noch gleich das Lied mit dieser ruhigen Nacht oder so ähnlich?
Jedenfalls einigten wir uns darauf, auf die guten, alten Zeiten eine Partie FIFA01 zu spielen, doch Schockschwerenot! Die Hülle war, ebenfalls nach ermüdender, lang andauernder Suche, aufzufinden, doch die CD war nicht an dem für sie vorbestimmten Ort. Der ungeduldige Leser wird nun sagen: „Dein Text ist auch ermüdend und lang andauernd. Komm endlich auf den Punkt!“ und ich könnte eine Arie über die Vergänglichkeit allen Seins anstimmen, über die Fragen des woher und wohin, über den Sinn des Lebens, doch habe ich dazu keine Lust und schwenke einfach um mindestens 360° in die gleiche Richtung wie zuvor und will mich bemühen vorweihnachtliche Stimmung in Eure Herzen zu zaubern.
Das Fest der Liebe steht wieder an. Alle Menschen umgibt ein geheimnisvoller Glanz, wenn sie mit vor Glück leuchtenden Augen durch die Einkaufstrassen schlendern um die vom Weihnachtsmarktduft gereizten Augen nach symbolträchtigen Präsenten für die Lieben daheim schweifen zu lassen. In Amsterdam ist das anders. Letztes Wochenende hatte ich die wunderbare Gelegenheit mir diese phantastische Stadt en detail zu betrachten, doch nirgends eine Glühweinbude, keine grausame Beschallung aus diabolischen Lautsprechern, keine ausladenden Weihnachtsauslagen in den Schaufenstern, selbst die Privathäuser waren weder dekoriert mit bunten Lämpchen noch mit lebensgroßen, kletternden Weihnachtsmännern, sofern man bei einer fiktiven Person von „lebensgroß“ sprechen kann. Der Niederländer scheint nicht viel von Weihnachten zu halten, verschmäht das Fest der Liebe. Der Holländer ist herzlos.
Dass es nicht ganz so drastisch ist, bezeugen die Dutzende von Busladungen laut schwafelnder Käsköppe, die in der Vorweihnachtszeit allsamstaglich nach Düsseldorf, Köln oder Aachen gekarrt werden und wagt man es vermessener Weise Sonntags über den Weihnachtsmarkt seiner Wahlheimatstadt zu flanieren, umweht ein latenter doch penetranter Geruch gegorener Milch die aufmerksame Nase. Doch nur Idioten und schwer Suizidgefährdete gehen das Risiko ein, entweder von der Masse zertrampelt zu werden wie ein rohes Ei, an Sauerstoffmangel einen qualvollen Erstickungstod zu erleiden oder als Deutscher erkannt und gesteinigt zu werden.
Doch worauf freuen wir uns noch mehr, als familiären Gesang unter der bereits nadelnden Nordmanntanne, Verwandtenbesuche, bei denen möglichst viel gegessen wird um sich antiproportional häufig unterhalten zu müssen oder monatelang akribisch eingeübte Freudenstürme über geradezu abstruse Geschenke meist an Jahren reicherer Familienmitglieder? Richtig. EA kündigt für den ersten Weihnachtsfeiertag den ersten Patch für FIFA02 an. Hat sich mal jemand überlegt, weswegen gerade an diesem Tag?
Wer allen Ernstes denkt, die Programmierer arbeiten auf Hochtouren und werden zufällig ausgerechnet an jenem Tage ihr Produkt, bzw. die erste Mängelbeseitigung ihres lang geplanten Produktes, fertig stellen, glaubt sicherlich auch, dass der Weihnachtsmann persönlich die CD mit dem update vorbeibringt, ein wenig Smalltalk mit der Frau des Hauses hält und dann zum nächsten unzufriedenen EA-Kunden eilt. Was der Mann mit der Rute wirklich mit der Frau des Hauses treibt, bleibt süßes Geheimnis der beiden, ABER sicherlich hat es mit der Wahl des Erscheinungsdatums eine ganz besondere Bewandtnis.
EA-Programmierer kennen keine Feiertage, keinen Feierabend, keine Freizeit, keinen Spaß. Das ist sicher. Alles lief gut, solange sie keine Ahnung von den Freuden der Welt außerhalb ihrer Computer-Kerkers hatten und ihr Leben für das erfüllteste, normalste der Welt hielten ohne jemals Fragen zu stellen. Doch das hat sich geändert. Irgendwie muss die Kunde von einer Welt ohne Sklaven bis in dieses finstere Verließ vorgedrungen sein und da die schmächtigen Körper der „Programmier-Menschen“ bereits zu sehr degeneriert sind, um an Flucht oder Aufstand zu denken, suchen sie einen Weg, sich an der Welt zu rächen; weniger bösartige Mitmenschen mögen es auch für einen Hilferuf halten, ABER die sollen ruhig weiter Omas Aufzeichnung der Wunschbox beobachten und sich raushalten, wenn Erwachsene reden.
Sinn des Erscheinungsdatum ist offensichtlich die Zersplitterung intakter Familien, denn während der Filius, ich verallgemeinere die jüngste Generation einfach auf den männlichen Teil, da die Frauenquote in der VDFB doch als recht stellvertretend für die komplette FIFA-Szene anzusehen ist, vor dem Rechner sitzend in Erwartung des updates alle fünf Minuten auf „online nach patch suchen“ klickt, mit dem Blick eines Hush Puppies (gibt es diese Hunderasse überhaupt noch?) und der Körperhaltung eines 60 jährigen Grubenkumpels, wartet der in Liebe und Eintracht am Essenstisch versammelte Rest der Familie, die Augen genervt zum Himmel verdreht, die Nasen voll des herrlichen Duftes des von der Mutter gezauberten Bratens, Sabberstriemen aus den Mundwinkeln den Gesetzen der Schwerkraft folgend und nur ihre guten Manieren verbieten es ihnen, ihren animalischen Instinkten folgend dem Jungen links und rechts eine zu verpassen und ihn am linken Ohr (gesetzt den Fall sie sind Linkshänder am rechten Ohr) zur Festtafel zu zerren, das Tischgebet herunterzuleiern und wie eine Meute ausgehungerter Straßenköter über die Gaben der Tiefkühltruhe herzufallen. Wem dieses Monstrum von Satz, oder die Vorstellung des himmlisch duftenden Stücks Fleisch nun flimmernde Sternchen vor den übermüdeten Augen bereitet, sei an dieser Stelle abgeraten, einen weiteren Versuch des Auseinanderklamüserns zu unternehmen und sich lieber in Aussicht auf kurze, klare Sätze meinem zweiten Erklärungsmodell zu widmen.
Eigentlich kam FIFA 02 viel zu früh auf den Markt, wenn auch nicht grundlos. Die FIFA-Spieler sollten es sich nicht schenken lassen, sondern ihr mühsam erspartes Taschengeld berappen, denn schließlich würde es ein wenig dauern, bis auch der letzte überzeugt ist, sich noch ein neues Pad anschaffen zu müssen und das ist dann ein so wunderbares Weihnachtsgeschenk, dass die komplette Computerbranche beim Gedanken daran in verzücktes Grinsen verfällt. Nun wäre der Plan auch perfekt aufgegangen, hätten sich nicht ein bis sechzig mehr oder minder wichtige bugs in das Spiel geschlichen. Nur Hartgesottene kaufen sich zu so einem Schund noch ein neues Pad, es sei denn, sie haben Pad und Programm gleichzeitig aus den Untiefen der Regale befreit. Also rauchten die Köpfe der Marketingstrategen, wie man noch das Beste aus der Situation holen könne. Als erstes wird eine Verbesserung angekündigt. Das glauben selbst erfahrene Computeruser; wahrscheinlich weil der Mensch immer einen Hoffnungsschimmer zum Klammern braucht. Der Termin wird so gewählt, dass man vor Weihnachten keine Zeit hat sich zu entscheiden, ob das verbesserte Programm ein neues Pad wert sei oder nicht. Im Gegenteil. Niemand möchte die tristen Weihnachtstage mit einem tollen Spiel, ABER ohne tolles Pad verbringen. Also landen die ganzen Sidewinder und Gravis und wie sie sonst noch heißen dank quengelnder Kinder unter dem Baum aus dem die Träume sind.
Der aufgeweckte unter den Lesern erhebt nun freudig die Hand zum Wort und sein Funkeln in den Augen lässt mich wissen, dass ihm die Lücke in meiner Argumentation nicht verborgen blieb, doch habe ich nun keine Lust mehr darauf einzugehen, speichere den Text ab und schicke ihn an Marco, der ihn dann leider auch noch aus dem Word-Format übertragen muss, wofür ich mich nochmals entschuldigen möchte, ABER AnnAs Rechner hat kein Frontpage.
Wer nun im „Jusomeg Parc“ Dinosaurier vermisst, sollte sich lieber kein Pad schenken lassen, sondern die Weihnachtsfeiertage damit verbringen, alle Fernsehkanäle durchzuschalten und auf eine Wiederholung des Spielbergfilm zu warten. Ich bin nur für den Tee zuständig.