Mein erstes Mal

  • Mit zittrigen, eiskalten Fingern umklammerte ich das gravis pro und starrte gebannt auf den Bildschirm. Das Gefühl, als mein erstes Ligaspiel begann, war unglaublich, eine Mischung aus sportlichem Ehrgeiz und Nervosität.



    Zum sportlichen Ehrgeiz sei nur soviel gesagt, dass ich es in natura in keinem Sportverein länger als ein Jahr aushielt und daß ich der Einzige war, der bei den Winter-Bundesjugendspielen in der zehnte Klasse beim Bodenturnen eine mehr schlecht als rechte Rolle rückwärts präsentierte. Nicht die körperliche Voraussetzungen hinderten mich an filigranen, akrobatischen Küren, sondern der Wille irgendwem etwas zu beweisen; gut, es scheiterte auch an den körperlichen Gegebenheiten, denn meiner Meinung nach können Menschen über 1.80m nicht grazil auf Geräten rumturnen, deren Erfindung mir immer noch Kopfzerbrechen bereitet. Wer kam jemals auf die Idee, zwei Ringe an die Decke zu hängen und sich daran die Arme auszukugeln? Turnvater Jahn würde zum Geräteturner-rächenden Zombie, wenn er nur im Geringsten erahnte, was ich da unter dem Etikett der leibessportlichen Ertüchtigung ablieferte.



    Die Nervosität erlangte bei mir exorbitante Ausmaße. So muss sich der Bräutigam fühlen, der in der Hochzeitsnacht das Kondom nicht übergezogen bekommt. Ein Auge auf der erwartungsvollen Frau das andere auf den Ort des Geschehens gerichtet merkt er den Stress Besitz von seinem Körper ergreifen. Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn und sein Gesicht verzerrt sich zu einem angespannten Lächeln. Er zieht und zerrt, flutscht und flucht, doch außer der Stimmung seiner Angetrauten geht nichts runter. Dabei beginnen die Hände so zu zittern, daß...FLUTSCH...na ja, die Nacht schien gelaufen. Da hebt man sich für die Ehe auf und dann solch eine herbe Enttäuschung. Doch so sollte es mir nicht ergehen. Die jahrelange Generalprobe, die häufig genug daneben ging, war vorüber und so musste die Premiere gelingen. Die Ausgangsposition war eigentlich optimal. Mein Kontrahent war der Tabellenletzte, der fünf Spieltage vor Schluss der Hinrunde gerade mal drei Punkte auf seinem Konto verbuchen konnte, die er gegen seinen Bruder geholt hatte. Dieser ist übrigens auch heute noch in der VDFB renommiert als Chefprogrammierer des Tools. Seine aktive VDFB-Zeit wird wohl ein schwarzer Fleck in seinem Lebenslauf bleiben und seinen Enkeln wird er, wenn sie vor dem lodernden Kamin auf seinem Schoß sitzend nach dieser Periode fragen, von harten Kämpfen, parteiischen Schiedsrichtern und ungerechten Wertungen zu berichten wissen, die ihm den ganzen Spaß am virtuellen Fußballspiel raubten, wie gierige Langfinger in der Vorweihnachtszeit.



    „Schönes Spiel“, wünschte ich meinem Gegner, wie es meine Art ist, denn mal ehrlich: wer wünscht seinem Gegenspieler wirklich Glück? Nichts ärgert mich mehr, als ein überlegenes Spiel meinerseits, dass der Andere durch Glück gewinnt. Damit kann und muss ich leben, doch wünsche ich mir diesen Fall garantiert nicht. Ich träum ja auch nicht davon, an glühenden Haken hinter einem Auto hergezogen zu werden, oder den ganzen Tag Volksmusik hören zu müssen oder mir die Arme beim Ringturnen auszukugeln. Diese Art von Vorliebe überlasse ich dann doch frohen Herzens der dunklen Seite, so dass durch Betätigung des Start-Knopfes, immerhin handelte es sich noch um FIFA 2000, dass einem nicht den fliegenden Wechsel zwischen Maus und Pad abverlangte, die Spiele beginnen konnten. Die Gladiatoren betraten die Arena.



    Ich sollte an dieser Stelle erwähnen, dass ich mein erstes Online-Spiel nicht alleine zu Hause bestritt, sondern bei meinem langjährigen Trainings- und Teampartner den PC in Anspruch nahm, so dass er mir erwartungsvoll über die Schulter blickte, was meine Nervosität natürlich nicht gerade besserte, wollte ich mich doch nicht blamieren. Doch was seine Augen in den nächsten Minuten erleiden mussten, fiele unter die Genfer Konventionen, hätte es FIFA bei deren Verfassung bereits gegeben. Es war ein Gekicke und Gestocher sondergleichen, bei dem der Begriff Hühnerhaufen nur mit dem Beisatz kopflos ruhigen Gewissens verwendet werden kann. Doch was für ein Gefühl, als ich mein erstes Tor schoss und zum ersten Mal in Führung ging. Tonnenschwere Felsblöcke, ganze Mittelgebirge fielen mir vom Herzen; oh, die Eifel! Nicht dass das Spiel dadurch schöner oder besser wurde, doch erlebte ich ein Gefühl, an das ich mich hätte gewöhnen können. Dass es etwas anders kam, ist eine lange und völlig andere Geschichte. Mein erstes Spiel schien schon so gut wie gelaufen beim Stand von 4:2, doch setzte bei mir ein Phänomen ein, dass sich bis jetzt (zugegeben keine besonders lange Zeit) durch meine FIFA-Karriere zieht: mein Team baut am Ende des Spiels erschreckend ab. So stand es kurz vor Schluss auf einmal 4:4! Oh, ein Schlag tief in die Magengrube. Mein ganzer Traum vom Nichtabstieg fiel vor meinem inneren Auge zusammen. Na ja, wenigstens nicht das erste Spiel verloren. Doch schwups, eine Drehung, die man bei FIFA 2000 ja hin und wieder mal beobachten konnte, und ich stand allein vorm Tor. Im Nachhinein bin ich erstaunt, dass das Pad nicht mit von meinem Handschweiß ausgelösten Kurzschluss den Geist aufgab. Mein Stürmer Fuchs visierte das Tor an, schaute dem Torsteher tief in die Augen, wartete auf den Moment, in dem dieser herausläuft und schiebt den Ball mit der Pass-in-die-Tiefe-Taste über die Torlinie. Der Auftaktsieg war geglückt. Es sind ihm bisher ...hmmmmm... einer gefolgt, ABER der dafür 5:0. Vielleicht ist auch deswegen mein erstes Spiel so eine schöne Erinnerung. Endlich mal nicht nach dem Spiel in den Chat und „Glückwunsch“ tippen, wobei ich das wirklich ernst meine, denn ich respektiere die bessere Leistung eines Anderen und gratuliere ihm gerne dazu. Auch wenn ich ihm vorher kein Glück wünsche.