
Ich denke, also bin ich. Mein Rechner kann nicht denken. Deswegen zu sagen, er ist nicht, wäre logisch grob inkorrekt. Ich nehme ihn wahr, für mich ist er da und ich merke, dass es ihm nicht gut geht. Ich habe vom Inneren eines Rechners keine Ahnung. Bin ja auch kein Fachmann, lasse mich deswegen immer gerne von anderen beraten. Für meinen Rechner bekam ich bislang noch keinen adäquaten Rat. Ist vielleicht die Zeit solch eines technischen Weggefährten schlicht und ergreifend irgendwann mal abgelaufen? Spätestens wenn Stecker inkompatibel und Treiber unauffindbar werden, wenn andere mitleidig lächeln oder sich gar abwenden, redet man von seinem Rechner, ist es ein eindeutiges Indiz, dass wieder einmal eine neue Generation von Rechnern das Zepter in die Hand genommen hat und wenn einen auf einmal Kinder siezen, merkt man noch viel mehr. Ich erzählte das einem Freund und der lachte nur und meinte, es sei für ihn noch viel schlimmer gewesen, als man ihm zum ersten Mal im Bus einen Sitzplatz anbot. Diese Schmach will ich meinem Computer ersparen, ABER man soll mir nicht nachsagen können, ich hätte nicht gekämpft.
Wiederholt startete ich in den letzten Wochen ein FIFA-Spiel und war nervöser, ob es überhaupt zustande käme als ob des Ergebnisses. Stunden vergingen mit eintippen von IPs, Neustarts, ICQ-Diskussionen, neuen IPs und ruckelnden FIFA-Standbildern. Ein zermürbender Kreislauf. ABER um so schöner die Momente des Glücks, nach einem schönen Spiel oder gar einem Sieg. Gut, der letzte Sieg ist schon was länger her, ABER noch nicht ganz aus meinem Gedächtnis verschwunden.
Bestätigung bekam ich von einem Bekannten. Er hat ein neues Laptop, gibt deswegen sein Altes ab und erzählte mir, dass ihn die Aufgabe dieses Lebensgefährten schon ein wenig traurig stimme. Also geht es nicht nur mir so. Wahrscheinlich geht es um das Gefühl, in Zukunft etwas nicht mehr zu haben, woran man sich gewöhnt hat. Das ist das Gleiche wie bei einer Trennung. Nur dass man sich bei einem neuen Rechner sicher sein kann, dass er den Alten in seiner Leistung locker überbieten wird. Wie weit sind wir gekommen, in unserer ruhelosen Welt Halt an Chips und Platinen zu suchen?
Es dürfte an den Erinnerungen liegen, die wir mit vielen Kleinigkeiten verknüpfen. So denke ich beim Namen meiner Festplatten an einen sehr guten Freund, der sie mir benannt hat und der leider weg gezogen ist, beim Stöbern durch die Programme erinnere ich mich an viele schöne Netzwerkstunden, die ICQ-Liste vermittelt mir das Gefühl nicht alleine zu sein, Geborgenheit, Vertrautheit, MP3s assoziiere ich eh mit ganz bestimmten Situationen und von der Aussagekraft meiner gespeicherten Mails brauche ich wohl gar nicht erst zu beginnen. Sicherlich kann ich auf einem neuen Rechner alles exakt identisch einrichten, doch bliebe in mir das Gefühl einer schlechten Kopie. Das Problem sind nicht die Daten auf der Festplatte, sondern die damit Verknüpften in meinem Kopf.
Diskutier ich mit Freunden über alte C64-Zeiten, leben wir in unserer Vergangenheit. Die Spiele waren garantiert nicht annähernd so gut, wie wir sie uns gegenseitig erzählen und doch fühlen wir uns wieder besser und sind uns einig, dass spielen damals noch viel mehr Spaß gemacht hat. Ich sehe uns eines Tages in Rollstühlen auf der Sonnenterasse eines Altenheims sitzen und über die guten alten FIFA-Spiele fachsimpeln. Irgendwann wird sich ein Zivi unserer erbarmen und auf dem Trödelmarkt ein antiquiertes FIFA-Spiel auftreiben, das sich mit viel Mühe und knowhow auf einem aktuellen Rechner installieren lässt und wir werden in dem Moment, in dem unsere Finger die Pads berühren zu kleinen Kindern, gehen mit, jubeln, schimpfen. Entweder wir sterben am Herzinfarkt oder an den viel zu hohen Beruhigungsmitteln, die uns injiziert werden müssen, doch hat sich unser Leben dann gelohnt.
Schon Erich Kästner sagte, es sei sein Ziel, immer ein Stück Kind in ihm zu halten. Wahrscheinlich lief er mit einem Holzschwert durch seinen Alterswohnsitz.