Interessanter Beitrag aus der "Neuen Rheinischen Zeitung":
„Aufstehen, Mund abwischen, nach vorne schauen!“
Nachhilfestunden bei Timm Thaler
Von Hermann
Ursprünglich hatte ich vor, an dieser Stelle das Saisonende komplett zu ignorieren und stattdessen von meinem runden Geburtstag zu erzählen, der erst wenige Tage her ist. Dieser ließ mich zu der Erkenntnis kommen, dass ich in diesem Leben wohl kein Fußballprofi mehr werde. Obwohl ich eigentlich im besten Torwartalter bin.
Aber einerseits bin ich zur Zeit nicht wirklich austrainiert, und dieser Zustand wird sich in den nächsten Jahren wohl kaum ändern, und andererseits habe ich bei meinen ersten und einzigen Erfahrungen mit Vereinsfußball im Grundschulalter feststellen dürfen, dass der Sport meine Liebe zu ihm nicht im vollem Umfang erwidert. Damit kann ich aber leben, und zum Glück macht es die Erfindung der Tribüne dem geneigten Fußballinteressierten möglich, dem ausgeübten Sport ganz nahe zu sein, jedoch ohne sich die Schuhe schmutzig machen zu müssen.
Da meine Begeisterung für das runde Leder auch meinen Freunden nicht verborgen blieb, bekam ich zu meinem oben angesprochenen Ehrentag auch einige themenbezogene Geschenke. In einem Paket fand sich, neben einem sehr kleidsamen FC-Bademantel und einem Stadionsitzkissen – Unverschämtheit, mir in meinem Alter ein Sitzkissen zu schenken, entspricht dieses doch in etwa einem aus Schaumstoff geschnittenen Seniorenpass – ein Buch mit dem Untertitel „Ein ‚Best of’ deutschsprachiger Fußball-Fanmagazine“. Darin war ein Beitrag eines gewissen Rainer Sprehe aus dem Bielefelder Fanzine ‚Um halb Vier war die Welt noch in Ordnung’, der dem Leser hübsch formuliert das unselige Zusammenspiel eines Chemiekonzerns im Rechtsrheinischen mit seiner Sportabteilung nahe bringt.
Alleine die Sätze: „Was dabei heraus kommt, hat in etwa den Charme des Arbeitsamtes oder der Treuhand. Also falls die Konstruktion Bayer 04 denn überhaupt einen Sinn hat, dann den, noch einmal zu untermauern, dass man, schlag nach bei Timm Thaler, eine Seele zwar verkaufen, aber nicht kaufen kann.“ sprechen einerseits dem Kölner aus vollem Herzen, brachten mich aber andererseits dazu, mir wieder Gedanken über den grauen Zweitliga- Alltag zu machen, den ich in der Sommerpause nach dem Motto „Aufstehen, Mund abwischen, nach vorne schauen" (Was meint der Fußballjargon bloß mit „Mund abwischen"? Ist das eine Metapher, die ich nicht verstehe, oder muss sich der Rasensportler nach einem Sturz tatsächlich Grashalme aus den Mundwinkeln pulen? Durch die Erfolglosigkeit in meiner aktiven Zeit weiß ich keine Antwort zu geben.) eigentlich etwas vernachlässigen wollte. Denn obwohl ich mit den Zweitligazugängen aus Bundes- und Regionalliga (Nord) sehr zufrieden bin, haben mir die Aufsteiger aus dem Süden ein neues Feindbild beschert: die TSG Hoffenheim.
Zugegebenermaßen habe ich mich noch vor ein paar Jahren im DFB-Pokal königlich gefreut, als angesprochener Chemiekonzern im Dietmar-Hopp-Stadion zu Fall kam, aber genau dieser Dietmar Hopp hätte auch ein paar Nachhilfestunden mit Timm Thaler nötig. Denn nur dadurch, dass der Software-Milliardär Hopp für den Verein seiner Jugend als Präsident permanent die private Geldbörse öffnet, konnte es dazu kommen, dass Hoffenheim durch fünf Aufstiege in siebzehn Jahren im Spielplan der zweiten Liga angekommen ist.
Wenn der Trend anhält, könnte die TSG in drei oder vier Jahren der Bundesliga einen Besuch abstatten. Was sich der „Abramovich des Rhein-Neckar-Kreises" bis dahin noch einfallen lässt, bleibt abzuwarten. Zuletzt plagten ihn Fusionsgedanken, um seinem Lieblingsspielzeug künstlich einen größeren Einzugsbereich zu schaffen, doch braucht man zum Fusionieren immer zwei, und es fand sich kein williger Partner, der sich durch die Verlockungen des bezahlten Fußballs hinreißen und einverleiben ließ. Also ist zu befürchten, dass Hopp zur Schaffung seines Retortenclubs keinen gleichberechtigten Partner sucht, sondern eher einen mit der DDR bei der Wiedervereinigung vergleichbaren.
Da sich niemand fand, der zum Tausch Tradition gegen Zweitligalizenz bereit war, muss unser Selfmade-Mann nun ganz allein seinen Großclub aus dem Boden stampfen. Der Bau eines neuen Stadions mit 30.000 Plätzen hat grade in Sinsheim (Hoffenheim wurde 1972 von Sinsheim eingemeindet) begonnen. Wo dementsprechende 27.000 Heimfans herkommen sollen, weiß wohl nur Hopp selbst, denn die TSG verbuchte in der vergangenen Saison mit einem Durchschnitt von 3000 Zuschauern pro Spiel einen neuen Vereinsrekord.
Fußballferne Menschen werden jetzt vielleicht nicht verstehen, weshalb man nur wegen dieser Fakten einen Verein kategorisch ablehnen kann. Wenn die Voraussetzungen geschaffen sind, soll doch jeder Verein die Möglichkeit haben, so weit oben zu spielen, wie es ihm das Regelwerk erlaubt. Objektiv betrachtet mag das zwar nicht falsch sein, aber ich bin nicht wegen meiner Objektivität Fußballfan. Ganz im Gegenteil: Ich möchte meine Sympathien und Antipathien nach völlig subjektiven, bei Bedarf sogar nach absolut nicht nachvollziehbaren Gesichtspunkten aus vollen Kellen verteilen, wie es mir passt. Und es ist kein Zufall, dass die TSG Hoffenheim nun mal die satteste Portion Antipathie abbekommen hat, denn mich gruselt es schon vor dem kommenden Besuch im „alten" (Baujahr 1999) Dietmar-Hopp-Stadion, dessen Kapazität grade auf 6.500 Zuschauer erhöht wird. Erfahrungen mit herben Niederlagen auf Dorfplätzen sind leider Gottes vergangene Saison beinahe zu meinem Alltag geworden. Vielleicht läuft es ja in Zukunft besser. Falls nicht: aufstehen, Mund abwischen und mit sauberer Schnute nach vorne schauen.
In Taunusstein wird man wohl glücklich über den Aufstieg Hoffenheims sein, zieht der zweite Regionalligaaufsteiger doch so viel Interesse auf sich, dass der ein oder andere übersehen könnte, dass der SV Wehen eine ganz ähnliche jüngere Vereinsgeschichte aufzuweisen hat. Der Taunussteiner Hopp heißt Hankammer, und seine Millionen stammen aus der Produktion von jenen Wasserfiltern, die bei Reformhauskunden hoch im Kurs stehen. Im Treten von Traditionen mit Füßen hat man hier die TSG durch die Umbenennung in SV Wehen Wiesbaden 07 klar hinter sich gelassen. Da kann ich stolz darauf sein, mein Leitungswasser vor dem Verzehr lediglich durch das Rheinufer filtern zu lassen.
Abschließen möchte ich mit einem weiteren Zitat von Rainer Sprehe, gemünzt auf die Sportabteilung des weiter oben erwähnten Pharmaunternehmens, aber auch ein guter Hinweis an die Mäzene aus der Software- und Wasserfilterbranche: „Fußballvereine werden geliebt und bewundert, wenn sie ein bisschen menscheln, wenn sie über eine gewisse Patina verfügen, wenn sie durch die Sportgeschichte taumeln, als seien sie schwerstens besoffen oder zumindest ein bisschen beschwippst, wenn sie also ihr Lebenselixier aus Schweiß, Tränen und Blut am Pfosten brauen, oder aber wenigstens, so wie die Diven an Rhein und Main in besseren Tagen, über Launen und eine gewisse Extravaganz verfügen. Bayer Leverkusen hingegen registriert man nur. So wie den Verkehrsfunk. Oder die Analyseergebnisse des Fresenius-Instituts auf der Mineralwasserflasche. Denn so wie die Stadt ist auch ihr Verein: nüchtern und antiseptisch.“
[Quelle: NRhZ-online vom 20.07.2007]